Mediation und Coaching - Spielen wir am besten, wenn der Gegner nicht da ist? (Dr. Gernot Barth, Cordula Söfftge)

Die Gegenseite ist anwesend

Coaching und Mediation sind Prozesse der Identitätsbildung. Im Ergebnis sollen die MediandInnen / Coachees wissen, wer sie sind und was sie wie tun wollen. In Konfliktsituationen definieren wir uns in einem unreflektierten Zustand, v.a. über Vorwürfe bzw. „Du-Botschaften“ („der hat / der ist ...“) in Abgrenzung zur „Gegen“seite. Die Einzelsitzungssituation im Coaching kann bei einem guten Vertrauensverhältnis zum Coach („mein“ Coach) eine vergleichsweise schnellere, emotionalere und tiefere öffnung bezüglich der eigenen Anteile an der Situation ermöglichen. In der Mediation ist es schwieriger, den Teufelskreis der Vorwürfe zu durchbrechen, da das Risiko besteht, im Selbstbehauptungsprozess (Window I), das „Gesicht zu verlieren“ (Wie stark vertraue ich z.B. dem/der MitmediandIn, dass wirklich nichts nach außen getragen wird?).

Man befindet sich permanent vor dem anderen auf dem „Präsentierteller“. Zudem besteht allein durch die Präsenz des Konfliktgegners /der Konfliktgegnerin ein körperlich messbarer erhöhter Stresslevel (Kampf-oder-Flucht-Modus) bei den Beteiligten, der die Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensvorgänge beeinflusst (z.B. selektive Wahrnehmung, self-fulfilling prophecy, eingeschränkte Verhaltensalternativen etc.) und den Konfliktlösungsprozess erschwert. Andererseits werden die Medianden durch die konsequente Methodik der Selbstbehauptung quasi dazu „gezwungen“, ihre Identität zunehmend über die eigenen Bedürfnisse und nicht durch die Abgrenzung zur Gegenseite zu definieren. Wenn dies gelingt, kann die Interessenphase – gerade weil (!) der/die andere anwesend ist – zu einer Stärkung des Selbst führen und in ein besseres Selbstvertrauen münden. Dies erhöht die Problemlösungskompetenz der Mediand/Innen. Auch im Fussballsport sind gerade diejenigen Mannschaften erfolgreich, die sich ihrer selbst bewusst sind, ihren eigenen Stil haben und sich nicht ausschließlich/ primär auf den Gegner konzentrieren.

Während eine Coachingsitzung keinen unmittelbaren Einfluss auf den Konflikt hat (sondern sich das Ergebnis der Sitzung erst im Verhalten des Coachees im realen Umfeld auswirkt), hat eine Mediation immer einen direkten Effekt auf das Konfliktgeschehen (Deeskalation oder ggf. Eskalation in der Sitzung). Eine Coachingsitzung gleicht – um im Bild zu bleiben – eher einer „Trainingseinheit“ zur Vorbereitung auf ein Spiel – die Mediationssitzung IST das Spiel. Dysbalancen sind daher in jeder Hinsicht zu vermeiden. Dies erschwert eine ggf. notwendige individualisierte Vorgehensweise. Im Coaching können dagegen persönliche Defizite z.B. im Kommunikationsverhalten bzw. von Einstellungen des Einzelnen zielgerichtet bearbeitet werden (z.B. emotionale Verarbeitung einer Trennungssituation). Der/die MediatorIn hat in methodischer Hinsicht weniger „Handlungsspielraum“ als ein Coach, dessen „Werkzeugkoffer“ jeweils sehr unterschiedlich bestückt sein kann (vs. der Mediation mit einem weitgehend standardisierten Ablauf).

Der/die MediatorIn muss wie der Coach parteilich (!) sein, InteressenvertreterIn der KlientInnen; jedoch erhöht sich dann die Schwierigkeit: Eine MediatorIn muss All-Parteilich sein („unser(e)“ MediatorIn). Eine weitere erhöhte Anforderung an die MediatorIn ist es, die Aufmerksamkeit gleichmäßig auf mehrere Personen zu verteilen (z.B. hinsichtlich der Beobachtung der Körpersprache oder Redezeit), um Ungleichgewichte zu vermeiden. Konzentriert man sich gerade auf eine Partei, kann die andere „aussteigen“. Diese Anforderung steigt mit der Anzahl der MediandInnen (z.B. in Teamkonflikten). Es bedarf also kommunikativer Techniken, um alle Parteien „im Boot“ zu halten. Besonders sensibel sollte ein/eine MediatorIn hinsichtlich der Wortwahl sein. äußerungen, die im Coaching (wenn gleich es auch mitunter als ein methodischer Fehler in der „reinen Lehre“ angesehen wird) möglich sind, können in einer Mediation zum „Prozesskiller“ werden, wie z.B. würdigende und wertschätzende Sätze derart wie „Da hatten Sie es ja wirklich schwer.“; „Diese Aufgabe haben Sie ja wirklich gut gelöst.“; „Es ist schon etwas unverschämt, dass Herr X Sie in die andere Abteilung geschickt hat.“; „Ich glaube, Sie sind eine ganz starke Frau.“; „Was halten Sie davon, das Problem auf Weise X zu lösen?“

Diese Kommentare können einen Coachee ggf. stärken – die durch die gleichen äußerungen entstandene Dysbalance im Mediationsprozess kann zum unmittelbaren Entgleiten der Mediation bzw. Eskalation des Konflikts führen. Die Reaktion der MediandInnen erfolgt immer als unmittelbare Resonanz auf das Gesagte. Die MediatorIn wird nicht mehr als allparteilich bzw. neutral wahrgenommen. Um das Blatt wieder zu wenden, muss er / sie schnell, flexibel, selbstreflektiert und empathisch intervenieren (z.B. Ansprechen auf der Metaebene). ähnliches gilt für den Umgang mit Ratschlägen. Während manche Coaches den Ansatz vertreten, dass Ratschläge während des Coachings sinnvoll sein können – gibt es auch die Gegenposition, insbesondere aus dezidiert systemischer Sicht, dass ein Coach keine Ratschläge geben sollte.  Ratschläge im Rahmen einer Mediation können wiederum eine „Schieflage“ hinsichtlich der Allparteilichkeit der MediatorIn erzeugen, was sich im Gesprächsverlauf spiegeln wird. Inhaltlicher Input durch die MediatorIn sollte daher – wenn überhaupt – ausschließlich auf die Optionsphase begrenzt sein und ist in einer Mediation mit noch mehr „Vorsicht zu genießen“ als im Setting eines Coachings.

 

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